Verhör des Illuminators Jehan Gillemer (Tours, 1471)

Ins Deutsche übersetzt von Susanne Rischpler (Wien, 2010)


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[1] Am 23. Tag des Januar 1472:
Von uns, Tristan l’Ermite, Ritter, Prévôt etc. und von dem mit uns erschienenen (eigentlich: geladenen) Pierre Cutor, unserem Statthalter, und von Nicolas Guiert, unserem Schreiber, wurde eine Befragung des Jehan Gillemer durchgeführt, der sich selbst Illuminator nennt, in der Provinz Maine geboren wurde und derzeit in Poitiers lebt, (zur Zeit) inhaftiert in den Gefängnissen unseres Königs und Herrn in dieser Stadt Tours, da er angeklagt ist, Nachrichten und andere Dinge weitergetragen zu haben, die ausführlicher in einem gewissen Gerichtsprotokoll erwähnt sind, das Geständnisse von ihm enthält, welche von ihm geschrieben und eigenhändig unterzeichnet sind, wobei dieses Protokoll in seiner Gegenwart in der Stadt Le Mans angefertigt wurde unter der Aufsicht von Meister Guillaume Suffleau, königlichem Rat und Statthalter in Sachen Rechtsprechung unseres genannten Herrn (= des Königs) in der genannten Provinz Maine. Nachdem wir ihn haben schwören lassen, die Wahrheit zu sagen, hat uns dieser (Gillemer) gesagt und gestanden, daß das, was in dem genannten Protokoll Suffleaus geschrieben steht und von dessen Schreiber, genannt Le Jarrier, unterzeichnet und ihm von uns ausführlich vorgelesen wurde, wahr ist, so wie es geschrieben steht. Gleichermaßen sind seine Geständnisse, die dem genannten Protokoll beigefügt wurden, wahr; er hat sie eigenhändig geschrieben und unterzeichnet, so wie sie vorliegen.

[2] Frage: Wer hat ihm ein gewisses (kurzes) Schriftstück gegeben, das eine am Anfang mit einem L gekennzeichnete Erinnerungsnotiz enthält? Die Notiz lautet wie folgt: Erinnerung daran, auf dem Weg nach Pauléon durch St.-Martin-de-la-Coudre bei St.-Jean-d’Angély zu gehen und mit der Herrin des genannten Ortes St.-Martin zu sprechen, die sich ein Stundenbuch anfertigen lassen will. Die genannte Dame ist die Frau von Loys Baudet, Hofmeister des Monseigneur de Guyenne. Darunter sind in zwei Zeilen folgende Namen verzeichnet: Simon Luillier in Saint-Jéhan; Johannes Demeré; Pontville, Vicomte de Brollas; Messire Jehan Breton. Er antwortete in Bezug auf die Frau des besagten Loys Baudet, daß er sich vor etwa dreieinhalb Monaten in Latillé, fünf Meilen von Poitiers entfernt, bei François Lévesque aufgehalten habe. In das besagte Gasthaus kam auch Meister Phillebert – seinen Nachnamen weiß er nicht –, der behauptete, der Diener der besagten Dame zu sein; und weil der hier Aussagende diesem erzählte, daß er Illuminator sei und schöne Stundenbücher zu verkaufen habe, riet ihm der genannte Meister Phillebert, daß er nach St.-Martin-de-la-Coudre bei St.-Jean-d’Angély gehen solle, wo die besagte Dame zu finden sei, die ein Stundenbuch haben wolle. Der besagte Phillebert sagte (außerdem) zum Angeklagten, daß er sehr wohl wisse, daß sie es kaufen oder ihn weitere (Stundenbücher) anfertigen lassen werde, und daß sie ein Stundenbuch zum Preis von 25 Écus haben wolle. Aber er (= Gillemer) sagte, daß er nicht zu der besagten Dame gegangen sei; er kehrte (vielmehr) nach Bordeaux und nach St.-Sever zurück, um mit der Fürstin (madame la princesse: Madeleine de France, Schwester von Louis XI. und Charles de Guyenne) zu sprechen, die nach ihm in dem besagten Ort Latillé durch einen gewissen oben erwähnten Johannes Demeré hatte schicken lassen, da ihn die besagte Dame an einigen Stundenbüchern und anderen Dingen, die zu seinem Metier als Illuminator gehören, habe arbeiten lassen wollen.

[3] Danach befragt, was die Namen unter diesem Schriftstück bedeuten und was er darunter verstehe, sagte er, daß das die Namen von Leuten seien, mit denen er in St.-Jean-d’Angély geschäftlich zu tun und die der besagte Johannes ihm genannt hatte, damit er herausfinden könne, wo der besagte Johannes in dem St.-Jéhan genannten Ort logierte; das heißt, daß er zu dem besagten Simon Luillier ging, wo der genannte Johannes oft wohnte, um herauszufinden, ob er sich dort befand. In Pontville, als er sich mit Monsieur de Guyenne, seinem Meister, in St.-Sever aufhielt, mußte der Aussagende Verhandlungen führen (eigentlich: sprechen), da ihm der besagte Johannes gesagt hatte, daß er für ihn (= den Herzog) einen kleinen Psalter geschrieben habe und daß der Aussagende diesen für ihn (= den Herzog) ausmalen solle. Mit dem genannten Messire Jehan Lebreton wollte der Aussagende sprechen, weil er Schreiber ist, und weil ihm der besagte Johannes gesagt hatte, daß er mit ihm auf der Durchreise sprechen solle, und daß er ihm vielleicht Arbeit geben oder ihm sagen könne, wo er als Illuminator etwas verdienen könne. Er habe keine andere Absicht mit diesem Schriftstück gehabt als diejenige, über die er bereits oben Rechenschaft abgelegt habe.

[4] Befragt, zu wem der genannte Johannes gehöre und wer er sei, sagte er, daß er Schreiber des besagten Seigneur de Guyenne sei und für ihn ein Brevier in Rotunda (en lettre rommaine) geschrieben habe; das weiß er, weil er ihn in St.-Jean-d’Angély habe arbeiten sehen.

[5] Frage: Was ereignete sich ab dem Zeitpunkt, als er St.-Sever verlassen hatte, wo sich der genannte Seigneur de Guyenne und die genannte Fürstin aufhielten? Er ging von dort nach Bordeaux und kehrte dann nach St.-Sever zurück; und befragt, was er dort tat und ob er Nachrichten dorthin brachte oder von dort mitbrachte, antwortete er nein, aber er verließ St.-Sever, um nach Bordeaux zu gehen und dort ein Stundenbuch binden zu lassen, das er dem kleinen Antoine verkaufte, dem Kammerdiener des besagten Monseigneur de Guyenne, und das er dem kleinen Antoine zurückgebracht hatte, nachdem es in St.-Sever gebunden worden war, von wo aus er abreiste, da der besagte Monseigneur de Guyenne, der sich dort aufgehalten hatte, nach Hagetmau abgereist war; und der Aussagende ging von St.-Sever nach Bordeaux, um hierher zu kommen; und dazu befragt, sagte er, daß die Straße von St.-Sever via Bordeaux hierher führe.

[6] Auf die Frage, was er, nachdem er hierher gekommen war, in der Stadt Le Mans im Haus des Monseigneur du Maine gemacht habe, und ob er ihm Briefe oder Nachrichten von besagtem Seigneur de Guyenne oder von anderen von dort (= St.-Sever) gebracht habe, antwortete er nein, aber er kam, um ihn (= den Grafen von Maine) zu sehen und um ihn um ein bißchen Geld zu bitten, das dieser ihm für Bücher schuldete, die er für ihn vor einiger Zeit illuminiert hatte. Er habe gehofft, bezahlt zu werden bzw. daß in Anbetracht der besagten Schulden, seiner Dienste und weil er in der besagten Stadt (= Le Mans) geboren worden sei, Monseigneur ihm nach einem Gespräch Gutes tun oder ihm Gutes zukommen lassen bzw. daß er in dessen Haus Unterhalt und Aufnahme finden werde, um dort zukünftig zu leben.

[7] Auf die Frage, wer ihm die große Anzahl von Schriftstücken gegeben habe, von denen einige mit mehreren Gebeten zu männlichen und weiblichen Heiligen beschriftet und andere für die Heilung von Zahnschmerzen und Fieberanfällen gedacht sind, sagte er, daß er sie alle an Orten und Plätzen erworben habe, die er besucht hatte. Die Gebete stammten aus Kirchen und von anderen heiligen Orten, die medizinischen Formeln für Heilungen bekam er von mehreren Leuten, während er im Land herumreiste. Er schrieb diese Dinge auf und behielt sie im Gedächtnis, um sich selbst heilen zu können und alle anderen, die darum baten.

[8] Auf die Frage, wo er ein Schriftstück her(genommen) habe, das bewirkt, daß sich Männer und Frauen ineinander verlieben, sagte er, daß es ihm ein Mann aus Navarra, der sich in Bordeaux aufgehalten hatte, gegeben und ihm (dazu) gesagt habe, daß er es auf Jungfernpergament schreiben lassen solle, daß er sich kraft dieses Schriftstücks bei Frauen und Männern beliebt machen und daß ihm daraus in Zukunft viel Gutes erwachsen werde. Das ist es, was er für heute aussagt.

[9] Am nächsten Morgen wurde der besagte Jehan Gillemer von uns einer speziellen (peinlichen) Befragung unterzogen, bei der er gefoltert, gebunden und gestreckt wurde. Er wurde von uns über seine Geständnisse sowie andere Punkte und Artikel befragt, die uns zur Kenntnis gebracht worden waren. Aber er wollte nur das aussagen, was er bereits oben und in seinen anderen Geständnissen ausgesagt hatte. (Nochmals) zu der Angelegenheit befragt, sagte er uns darüber hinaus, daß er frohen Mutes und aus freien Stücken zu Monseigneur de Maine gegangen sei, von niemandem beauftragt, diesem Briefe oder Nachrichten zu überbringen; er wollte ihm nur sagen, daß er von Guyenne käme und daß er Monseigneur de Guyenne, seinen Neffen, gesehen habe, der von Fieber heimgesucht worden war; er habe diesen gesehen, wie er in St.-Sever auf sein Pferd gestiegen sei, um von dort nach Hagetmau zu reiten. Ebenso wollte er ihm sagen, daß er ein Stundenbuch für die Fürstin, seine Nichte, illuminieren solle, worüber er mit ihr verhandelt habe. Er fügte hinzu, daß er ihm (= dem Grafen von Maine) sagen wollte, daß Monseigneur de Guyenne die Absicht habe, ein Brevier nach römischem Gebrauch anfertigen zu lassen, und daß er glaubte, daß er den Auftrag bekäme, wenn er (= der Graf von Maine) Monseigneur de Guyenne fragen würde; und er sagte, daß er alles und jedes dieser Dinge Monseigneur du Maine sagen wollte, um Zugang zu dessen Haushalt zu erlangen und ebenso um für das bezahlt zu werden, was man ihm für einige Dinge, die er als Illuminator vor einiger Zeit für ihn gemacht hatte, noch schuldig sei. (Er wollte es auch in der Hoffnung sagen), daß es ihm (= dem Graf von Maine) gefallen möge, ihm etwas für seinen zukünftigen Lebensunterhalt zu geben. Und in Bezug auf das Schriftstück, in dem erwähnt wird, daß er durch St.-Jean-d’Angély reisen solle, um mit der Frau des Hofmeisters des Monseigneur de Guyenne zu sprechen und mit weiteren Personen, die auf dem genannten Schriftstück aufgelistet sind, weigerte er sich, irgend etwas anderes auszusagen als das, was er bereits oben ausgesagt hatte. Und er schwor bei seiner Seele, daß ihm nicht aufgetragen worden sei, Monseigneur de Maine, dessen Frau, dem besagten Hofmeister oder irgendeiner anderen lebenden Person Briefe zu überbringen oder irgend etwas von irgendeiner lebenden Person mündlich auszurichten, vielmehr ging er überall hin und tat aus freien Stücken das, was oben geschrieben steht. Und was die anderen Schriftstücke betrifft, über die wir ihn nochmals befragt haben, sagte er, daß er sie von mehreren Leuten an mehreren Orten, durch die er gekommen sei, erworben und daß er sie zu seinem eigenen Nutzen kopiert habe; aber er schwor bei seiner Seele, daß er daraus nie Nutzen geschlagen habe. Und er weigerte sich, in anderer Weise auszusagen als er es bereits getan hatte. Und das ist es, was er aussagt.

[10] Und nach der Folter haben wir ihm seine Aussagen ausführlich vorgelesen, von denen er keinen Abstand genommen hat, und haben ihn das Vorliegende ebenso wie die anderen Aussagen unterzeichnen lassen, wie hier sichtbar. Gillemer (eigenhändige Unterschrift mit Paraphe)

[11] Am ersten Tag des Februars, im Jahr 1472, wurde der Illuminator Jehan Gillemer von uns, Tristan l’Ermite, Ritter, Prévôt etc. nochmals über den Inhalt gewisser Punkte befragt, die uns gegeben und dem vorliegenden Bericht hinzugefügt wurden. Über jeden einzelnen wurde er befragt wie nachstehend festgehalten.

[12] Zuerst befragt, was mehrere kleine Schriftstücke – einige davon in Latein und andere in Französisch abgefaßt, einige für die Linderung von Fieber und andere gegen Zahnschmerzen – bedeuten und warum und zu welchem Zweck er sie mit sich führe und woher er sie habe, sagte er, daß er sie von mehreren Leuten, deren Namen er nicht kenne, und in verschiedenen Gegenden und Orten, in denen er sich aufgehalten habe, bekommen habe, und daß er sich jetzt nicht mehr daran erinnere, wo (und wann) er sie erhalten habe. Er erinnere sich nur daran, daß er vor ungefähr drei Jahren, als er sich auf der Durchreise in Croutelle bei Poitiers aufhielt, in einem Gasthaus gezecht habe, wo er einen Unbekannten traf; und da der Aussagende Zahnschmerzen hatte und darüber klagte, sagte ihm der betreffende Unbekannte, wenn er wolle, dann könne er ihn heilen und gab ihm daraufhin ein Pergamentstück, und sagte ihm, daß er es bei sich tragen solle und daß es ihn von seinen Schmerzen heilen würde; und der besagte Unbekannte hängte es ihm an einer Schnur um den Hals, und sobald er es ihm umgehängt hatte, war er geheilt; und er sagte, um das Zettelchen zu bekommen, habe er dem Mann 2 Sous und 6 Deniers tournois gezahlt.

[13] Die Frage, ob er seither wieder Zahnschmerzen bekommen habe, bejahte er; (dabei) habe er das besagte Pergament um seinen Hals getragen, wie der andere es ihm umgehängt habe, aber er sei in keiner Weise geheilt worden. Außerdem sagte er, daß er sich seither niemals mehr selbst zu helfen versucht habe und auch nicht den Willen dazu gehabt habe – außer wie oben festgestellt –, da er gesehen habe, daß es ihm nichts brachte. Und das ist es, was er zu Punkt 1 aussagt.

[14] Befragt zu Punkt 2, was bestimmte Psalmen und Gebete bedeuten bzw. zu was sie gut seien, und was ein weiteres Gebet bedeute, das am Ende der anderen stehe und mit mehreren ineinander verwobenen Kreuzen und Beischriften versehen sei, sagte er, daß ihm, als er sich vor ungefähr drei Jahren in (der Stadt) Paris aufhielt, ein gewisser Guillonet – er weiß und kennt von ihm keinen anderen Namen – die besagten Gebete gegeben und ihm gesagt habe, daß sie dazu gut seien, daß er sie bei sich trage, und wer immer sie jeden Tag vor dem Kruzifix bete, werde nichts Schlechtes mehr erleiden; aber (diesbezüglich befragt) sagte er, daß er nicht wisse, was die besagten Kreuze bedeuten, noch wozu die besagten Gebete gut seien, außer zu Gott zu beten und ihm in guter Absicht zu dienen.

[15] Auf die Frage, was mehrere Tage des Monats, die unter bzw. am Ende der besagten Gebete geschrieben stehen, bedeuten bzw. wozu sie dienen, sagte er, daß das die Unglückstage der zwölf Monate eines Jahres seien, die er sich selbst in Poitiers in der Kirche Saint Hilaire (dieses Ortes) aus einem lateinischen Buch der dortigen Bibliothek herausgeschrieben habe. Ein Franzose namens Jehan Adveu, der mittlerweile verstorben sei, habe ihm die Worte ins Französische übersetzt.

[16] Befragt zu Punkt 3, was ein Papierblatt bedeute, auf dem die Namen mehrerer Städte in der Provinz Guyenne geschrieben stehen, bzw. zu was es diene, sagte er, daß er sich, da er sich mehrere Male in der besagten Provinz (Guyenne) aufgehalten habe und dort ein und ausgegangen sei, die Namen der Orte und Städte, in denen er zu arbeiten und die er aufzusuchen hatte, aufgeschrieben habe, damit er nicht vom rechten Weg abkomme; und er sagte bei seiner Seele, daß das genannte Schriftstück nichts anderes bedeute bzw. zu nichts anderem geschrieben worden sei und daß es zwei Jahre her sei, daß es geschrieben wurde.

[17] Befragt zu Punkt 4, was ein Bild auf einem anderen Papierstück bedeute, das das Maß der Länge Jesu Christi darstellt, und was darüber hinaus mehrere Kreuze und Inschriften bedeuten, die teils lateinisch, teils französisch geschrieben sind, und für was er sie benutze, sagte er, daß ihm vor etwa vier oder fünf Jahren, als er sich in (der Stadt) Brüssel aufgehalten hatte, ein Unterherold, der seiner Meinung nach zum Gefolge des deutschen Kaisers gehörte, das besagte Papier gegeben und dabei erzählt habe, daß darauf das Maß Christi dargestellt sei, das 16 mal die Länge der besagten Darstellung betrage. Und der besagte Unterherold, den er nicht einmal dem Namen nach kennt, sagte ihm, daß er es in Jerusalem von einem Franziskanerkloster mitgenommen und von dort mitgebracht habe. Darüber hinaus sagte ihm der bewußte Soldat, daß es jedem, der es bei sich trägt, niemals mehr schlecht gehen würde; und zu diesem Zweck nahm es der Aussagende für die Zukunft mit; aber die Bedeutung der Kreuze sowie der französischen und lateinischen Beschriftungen kenne er nicht; er wisse nur das, was er oben ausgesagt habe.

[18] Befragt zu Punkt 5, was gewisse Verse (rondeaulx) und Beschriftungen bedeuten, die auf einem anderen Stück Papier mit mehreren Kreuzen, Ziffern und Beischriften zu finden sind, sagte er, daß ihm vor etwa zweieinhalb Monaten, als er sich in Bordeaux aufhielt, ein Mann aus der Provinz Navarra, den er nicht kannte und bis dahin noch nie gesehen hatte, das besagte Papier gegeben und ihm gesagt habe, daß er es auf ein Stück Jungfernpergament kopieren und immer bei sich tragen solle, und daß er, wenn er so handle, von allen – ob groß oder klein – geliebt werde, wo immer er auch hingehe. Mehr sagte er ihm nicht dazu. Und er schwor bei seiner Seele, daß er die Bedeutung der Kreuze, Ziffern oder Beischriften nicht kenne und daß er nicht mehr wisse als das, was er oben ausgesagt habe.

[19] Befragt zu Punkt 6, was mehrere Ziffern und Buchstaben bedeuten, die auf einem kleinen Pergamentstück stehen und mit denen man die Liebe einer jungen Frau erlangen soll, sagte er, daß es ihm der besagte Mann aus Navarra in Bordeaux gegeben habe, zusammen mit den erwähnten Versen, wobei er ihm lediglich sagte, daß er dem Inhalt des besagten Schriftstücks Folge leisten und es ebenfalls auf ein Stück Jungfernpergament kopieren solle; aber er sagte bei der Verdammnis seiner Seele, daß er es niemals benutzt bzw. versucht habe, es zu benutzen bzw. es niemand anderem zur Benutzung gegeben habe; und er wisse nicht, was der Inhalt des besagten Schriftstücks bewirke, ob es (überhaupt) etwas bewirke oder ob es wahr sei, weil er, wie gesagt, nie versucht bzw. ausprobiert habe, welche Macht oder Kraft es hat.

[20] Befragt zu Punkt 7, was ein kleines, in zwei Stücke zerrissenes Pergamentstück bedeute, das ein Rezept beinhaltet, das zwei sich prügelnde Männer besänftigt, wer es ihm gegeben habe und wo er es erworben habe, sagte er, daß ihm vor einem Jahr oder länger ein Kleriker namens Guillaume – einen anderen Namen weiß er nicht von ihm – das besagte Schriftstück in Poitiers gegeben und ihm gesagt habe, daß es bei Streit helfe, daß man einen Apfel nehmen solle und den Namen Hadan – wie er auf dem besagten Schriftstück steht – auf den besagten Apfel schreiben und ihn dann auf den Boden zwischen die beiden sich schlagenden Männer werfen solle, worauf sie sich beruhigen würden; aber er schwor bei seiner Seele, daß er das niemals in seinem Leben ausprobiert oder getan habe und auch nicht an jemand anderen weitergegeben habe, damit er es ausprobiere; und er will all jenen glauben, die etwas darüber zu sagen wissen.

[21] Befragt zu Punkt 8, was ein anderes zweieinhalb Finger breites, lateinisch beschriftetes Pergamentstück mit mehreren Kreuzen bedeute, sagte er, daß er nicht (mehr) wisse, wer es ihm gegeben habe, was es bewirke, wozu es diene, was es bedeute, außer daß es ihm scheint, daß es helfe, Fieber zu heilen.

[22] Befragt zu Punkt 9, was eine Papierrolle bedeute, auf der mehrere Anweisungen geschrieben stehen, wie man, wenn man auf Reisen geht, erkennt, ob die Reise gut oder schlecht verlaufen werde, und wie es möglich ist, dies am Namen der ersten Person zu erkennen, die man am Ausgang (Tor) der Stadt, die man verläßt, vorfindet, sagte er, daß ihm vor zwei oder mehr Jahren, als er in Poitiers war, ein Franziskaner namens Jean Boussin die besagte Rolle gegeben und ihm erklärt habe, daß er, wenn er auf Reisen gehe, am Tor der Stadt, die er verlasse, den Namen des ersten Mannes oder der ersten Frau, der bzw. die ihm dort begegne, erfragen solle; und dann, nachdem er auf der besagten Rolle nachgeschaut habe und entsprechend deren Inhalt, würde er wissen, ob er eine gute Reise haben würde oder nicht, je nach den Buchstaben, die dort geschrieben stehen; aber er schwor bei seiner Seele, daß er es niemals versucht habe, noch es jemand anderem gegeben habe, damit dieser es versuche; obwohl er sagte, daß er manchmal die Absicht hatte, es anzuwenden, aber immer wenn er einen Ort verließ, vergaß er darauf.

[23] Befragt zu Punkt 10, warum er auf einem Stück Papier zur Erinnerung aufgeschrieben habe, nach St.-Martin-de-la-Coudre bei St.-Jean-d’Angély zu gehen und mit der Frau des Loys d’Aubeterre, des Hofmeisters des Monseigneur de Guyenne, zu sprechen, sagte er, daß ihm, als er sich vier Monate oder länger (im Ort) Latillé bei Poitiers aufhielt und nach Bordeaux gehen wollte, ein sogenannter Meister Phillebert, der sich in (dem besagten Ort) Latillé befand, mitgeteilt habe, daß sich die Frau des (genannten) Hofmeisters ein Stundenbuch für den Preis von 25 Écus anfertigen lassen wolle und daß er, falls er schöne Stundenbücher auf Vorrat hätte, sie ihr bringen solle, und daß er wohl wisse, daß sie sie kaufen oder sich ein anderes zum genannten Preis anfertigen lassen würde; aber er sagte, daß er bei seiner Seele nicht dorthin gegangen sei, sie niemals getroffen und nie mit ihr gesprochen habe, ebenso wenig wie mit den anderen Personen, die auf der besagten Rolle stehen.

[24] Befragt, ob er für die anderen Personen und an den anderen Orten gearbeitet habe, die auf der besagte Rolle stehen, sagte er, daß er dort nur zu arbeiten bzw. sie zu fragen hatte, ob sie (= die Personen) Aufträge für ihn als Illuminator hätten, da ihm der besagte Messire Phillebert im genannten Ort Latillé gesagt hatte, daß er sich an diese wenden solle; ebenso hatte er dort, in (dem besagten Ort) St.-Jehan, mit einem gewissen Johannes zu tun, um mit ihm über bestimmte Stundenbücher zu sprechen, die der besagte Johannes anfertigte und die er, der Aussagende, illuminieren sollte, wie dies alles ausführlicher in einem anderen Protokoll geschrieben steht, das wir bereits von ihm aufgenommen haben; und er sagte bei der Verdammnis seiner Seele, daß er an den besagten Orten und für die besagten Leute nur das ausgeführt habe, was er weiter oben ausgesagt habe; das sei es, was die besagte Rolle und die darauf geschriebenen Namen bedeuten.

[25] Zu Punkt 11: Bedeutung, Nutzen und Kräfte mehrerer Gebete, die auf einer sehr langen Papierrolle geschrieben stehen, auf der sich auch mehrere Kreuze befinden; ebenso steht dort, daß jeder, der das besagte Gebet bei sich trägt, keines plötzlichen Tod sterben wird; und wenn die Rolle auf eine vom Teufel besessene Person geworfen wird, dann wird der Teufel ausgetrieben; und wenn sie auf eine Frau geworfen wird, die während der Schwangerschaft leidet und ihr Kind nicht bekommen kann, dann bewirkt sie, daß das Kind herauskommt; ebenso wird jeder, der diese Gebete täglich spricht, seinen Todestag drei Tage im voraus wissen. Dazu sagte er, daß ihm vor drei oder mehr Jahren, als er sich auf dem Rückweg aus der Lombardei in Lyon aufhielt und sich auf dem Weg nach Poitiers befand, jemand mit Namen Jehan Potier – er kenne ihn nicht weiter, auch keine weiteren Namen noch dessen Beruf – diese Gebete gegeben und gesagt habe, daß sie dazu dienten, sie bei Angst vor Feuer, Wasser und anderen schlimmen Ereignissen bei sich zu tragen; und er sagte und erklärte ihm, daß er, wenn er sie täglich spreche, drei Tage im voraus von seinem Tod Kenntnis haben werde, und in der Tat erklärte er ihm die Mächte und Kräfte der besagten Gebete wie oben beschrieben; aber er schwor auf seine Seele, daß er es niemals in irgendeiner Weise ausprobiert habe.

[26] Befragt, welche Kräfte fünf kleine Schriftstücke aus Pergament hätten, die am Ende der oben genannten Gebete angeheftet sind, wofür sie gut seien und wo er sie erworben habe, sagte er über das erste von ihnen, daß darauf geschrieben steht: Lyessetel dominum Sudaly Crucis Crucis Gelyn Agantabell Oyel und daß es für Zahnheilung sei. Was die Bedeutung der Kreuze betreffe, die sich darauf befinden, und was die besagten Worte in Französisch bedeuten, sagte er, daß er das nicht wisse, und nicht zu erklären vermöge. Dazu befragt, sagte er, daß er die fünf besagten Schriftstücke vor ungefähr drei oder vier Jahren in Poitiers aus einem Buch abgeschrieben habe, das dem oben erwähnten Franziskanerbruder Jean Boussin gehört, und daß er nicht gewußt habe, wie er das, was auf dem besagten Schriftstück über dem lateinischen Text in zwei klein geschriebenen Zeilen steht, lesen oder erklären solle.

[27] Befragt über das zweite Schriftstück, was darauf geschrieben stehe und was es bedeute, sagte er, daß er das, was dort geschrieben steht, nicht lesen könne, aber er wisse sehr wohl, was es bedeute und zu was es gut sei, und er sagte, daß man damit wisse, wie viele Unglückstage es in jedem Monat gebe; er sagte, daß er es nicht auf dem besagten Schriftstück zu erkennen vermag, er wisse auch nicht, wie viele unheilbringende Tage es in jedem Monat gebe, außer daß es ihm scheine, daß es im Januar zwei davon gebe; ob sie am Anfang, in der Mitte oder am Ende des Monats lägen, darüber wisse er nichts.

[28] Befragt über das dritte Schriftstück, auf dem in Französisch steht: Charles, au lundi, mercredi et vendredi ; Simon, au vendredi, assailliz ; André, au mercredi ou au jeudi ; Pierre, au lundi, mercredi ou jeudi, accordez ; Guillaume, au mercredi ; et, se le dit Guillaume vous assault, si vous deffendez ; Etienne, au jeudi ou au lundi, et vous accordez (Charles: am Montag, Mittwoch und Freitag; Simon: am Freitag, attackiert; André: am Mittwoch oder Donnerstag; Pierre: am Montag, Mittwoch oder Donnerstag, versöhnt; Guillaume: am Mittwoch; wenn besagter Guillaume euch angreift, verteidigt euch; Etienne: am Donnerstag und Montag, und ihr einigt euch), sowie über die Bedeutung der oben geschriebenen Dinge, sagte er, daß er, als er sich vor ca. drei Jahren in Poitiers aufhielt, wo er als Illuminator arbeitete und mehrere erwachsene Hilfskräfte hatte, von denen er keine Hilfe erwarten konnte, an irgendeinem Tag mit Bruder Jean Boussin sprach und ihm erzählte, daß er Mitarbeiter hätte, von denen er – wie schon gesagt – keine (rechte) Hilfe erwarten könne, und daß er befürchte, daß sie versuchen werden, ihm Schaden zuzufügen, wenn sie etwas zu ihm sagten; und der besagte Boussin erzählte ihm, daß er ein Astrologiebuch habe, aus dem er für ihn einen Auszug darüber machen werde, was er tun sollte und daß er sie, ihren Namen entsprechend, friedlich würde führen können, und ebenso an den anderen Tagen, wenn er nichts von ihnen erbat und sie ihm (trotzdem) Schaden zufügen könnten. Und in Bezug auf Charles, den Erstgenannten, sagte er, daß er mit ihm am Mittwoch und Freitag sprechen solle, damit dieser ordentlich mitarbeite; wenn er von dem anderen mit Namen Simon etwas am Freitag erbat, dann konnte er sich verteidigen, ohne daß dieser ihm Schaden zufügen konnte; ebenso mit André am Mittwoch und Donnerstag; und mit Pierre am Montag, Mittwoch oder Donnerstag; wenn er und besagter Pierre Streit hätten, dann würden sie sich an den besagten Tagen gut einigen (können); mit dem anderen namens Guillaume solle er am Mittwoch sprechen, und wenn der besagte Guillaume ihn attackierte, dann solle er sich verteidigen; mit dem anderen namens Jehan (solle er) am Freitag (sprechen), und wenn dieser ihn attackierte, solle er sich verteidigen; und mit dem anderen namens Etienne, solle er am Donnerstag oder Montag sprechen, und wenn sie einen Streit hätten, dann würden sie sich einigen.

[29] Befragt über das vierte Schriftstück, an dessen Anfang geschrieben steht: Les bons voyages que je doiz faire au signe de Virgo, en aoust ou en septembre (die guten Reisen, die ich im Zeichen der Jungfrau machen soll, im August oder September) und über dessen Bedeutung, sagte er, daß das, was darin geschrieben steht, bedeute, daß er damit Bescheid wisse über die guten Reisen, die er zu machen habe, ob nun in Handelsangelegenheiten oder anderen, wo auch immer er hingehen müsse, und mittels der Planeten, die auf dem besagten Schriftstück geschrieben stehen, und diesen entsprechend (wisse er Bescheid) über den Tag der Abreise und ob er Gutem oder Schlechtem begegnen werde.
[30] Befragt über das fünfte der besagten Schriftstücke, auf dem geschrieben steht: Ebrodus, unus Deus, miserere meî ; sur ung vollet gras, d’un poinsson, et qu’il se tourne devers soulleil levant et picque chascune lectre etc., dic Pater noster, Ave Maria, sagte er über dessen Bedeutung und Nutzen, daß es für die Zahnheilung sei, und daß man eine eingefettete (Holz )Tafel nehmen, darauf mit einem Stichel die fünf oben stehenden Worte Ebrodus etc. schreiben, auf jedes Wort einige Einstiche machen und das Vaterunser und das Ave Maria sprechen solle. Sofort danach wird es demjenigen, der die Zahnschmerzen hat, so vorkommen, als ob die Einstiche in die besagten Buchstaben das Zahnweh ausströmen lassen, und auf diese Weise wird er geheilt.

[31] Befragt darüber, wie er das wisse, sagte er, daß er es wisse, weil es vor ungefähr drei Jahren, als er sich in Crotelles nahe Poitiers aufhielt, ein Mann, der ihm auf seinem Weg begegnet sei, den er niemals zuvor getroffen und den er seither niemals wiedergesehen habe, mit ihm ausprobiert habe; und er sagte bei der Verdammnis seiner Seele, daß er es seither nicht mehr ausprobiert habe und auch niemanden habe ausprobieren lassen; und dazu befragt sagte er, daß das Gebet, an dessen Anfang In nomine Patris et Filii steht und das an die fünf besagten Schriftstücke angeheftet sei, ebenfalls für die Heilung der Zähne bestimmt sei; es ist das Gebet der hl. Apollonia.

[32] Befragt darüber, was auf einem Papierstück geschrieben steht, das zusammen mit den genannten fünf Schriftstücken angeheftet ist, und auf dem geschrieben steht: Messire Girault Cressonnier, de Saint-Andrieu, demourant à l’oustau de monsr de Saint James (Messire Girault Cressonier, aus Saint-Andrieu, zur Zeit im Hause von Monseigneur de Saint James) und in Latein: Resta prosa: Prope est claritudinis, que est quarta dominica Adventus, sagte er, daß Messire Girault ein in Bordeaux lebender Priester sei, dem er vor ungefähr zwei Jahren ein kleines Missale verkauft habe, und weil in diesem Missale noch ein Textstück eingefügt werden müsse, das Prope est claritudinis, que est quarta dominica Adventus lautet, habe er dies notiert, damit er nicht darauf vergesse, es in das besagte Missale einzufügen.

[33] Befragt zu dem zwölften der besagten Punkte, ob er irgendwelche schlechten Familiengeister habe oder gehabt habe, antwortete er nein; (befragt) ob er irgendwelche Teufelsanrufungen durchgeführt habe, die ihm die Fähigkeit gelehrt hätten, Ziffern und Buchstaben anzufertigen, sagte er nein; (und befragt) wie viele Male er sich der besagten Schriftstücke, Buchstaben, Ziffern und der anderen oben genannten Dinge bedient habe bzw. an welchen Orten und für welche Personen, sagte er bei dem Schwur, den er geleistet habe, und bei der Verdammnis seiner Seele, daß er die oben genannten Dinge niemals benutzt habe, noch sich ihrer beholfen habe, noch sie von anderen habe benutzen lassen – außer in der Art und Weise, wie er darüber obenstehend ausgesagt habe. Und das ist es, was er aussagt.


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