Dieses Vortragsmanuskript ist Teil der "Materialien zur Buchmalerei".

Der Vortrag wurde am 26. März 2015 im Rahmen der Tagung der HandschriftenbearbeiterInnen

"Handschriftenerschließung in Deutschland und Österreich. Ergebnisse und Perspektiven" gehalten.

 

Katalogisierung Illuminierter Handschriften interdisziplinär

Vier Fallbeispiele von Martin Roland

Die gezeigten Bilder stehen hier zur wissenschaftlichen Lehre zur Verfügung

 

<Folie 3> Seit 1905 werden in Wien Kataloge illuminierter Handschriften publiziert. Durch alle Phasen stand dabei die wissenschaftliche Erschließung im Fokus. Während die zu bearbeitenden Bestände, deren Eigentümer und die involvierten Institutionen einem erstaunlich radikalem Wechsel unterliegen und der Untersuchungsgegenstand sich über Inkunabeln zuletzt auch noch zu illuminierten Urkunden erweitere, blieb der wissenschaftliche Anspruch immer unverändert.

Wenn ich an Buchschmuck mit disziplinären Scheuklappen herangehe, sehe ich das so. <Folie 4> Für jeden von uns eine absolutes „no go“, zu viele Codices haben dieses Schicksal realiter erlitten. <Folie 5 > Interdisziplinäres Katalogisieren bedeuten aber alles zu sehen.

<Folie 6 > Um Details genau anzuschauen, muss nicht die disziplinäre Schere nehmen, da reichen kurzsichtige Augen oder eine Lupe und in diesem Fall Basiskenntnisse der Paläographie und beim Bedienen eines Bildbearbeitungsprogramms.

<Folie 7> Ich stelle vier Beispiele vor, die – je verschieden – meinen Spaßfaktor im Bureau gesteigert haben.

 

1) Kooperation mit der Einblattdruck-Forschung <Folie 8>

So sieht der höchstrangige Schmuck von Cod. 2800 der ÖNB aus. Weil wir so etwas eben nicht gleich auf die Müllkippe schaffen, wurde ein zweiter Blick auf diesen Codex geworfen. Der Text des Hauptschreibers ist 1410 datiert, die Federzeichnungsinitiale mit ihren figürlichen Motiven ist jedoch nachgetragen. <Folie 9> Der entscheidende Dekor liegt heute in der Albertina, zwei der wichtigsten frühen Einblattdrucke überhaupt, die die Spiegel des Einbandes zierten. Die Erforschung von Einblattdrucken ist ein sehr spezieller Zweig, eine – Peter Schmidt ist da die große Ausnahme – sehr fokussierte Spezialwissenschaft. Die erkannte nicht, dass es einen inhaltlichen Bezug zwischen Text und Bild gibt, sowohl vorne <Folie 10 > als auch hinten. Sie ignorierte, dass das Papier im ganzen Codex, also auch in den Teilen mit nachgetragenem Text, entstehungszeitlich ist, ebenso wie der Einband. Das Blatt auf das die Heilige Familie gedruckt wurde, war das letzte Blatt der letzten Lage. Die Einblattdrucke wurden zwar nicht für die Verwendung in Büchern geschnitten, sonst wäre ein Buchmaler allemal billiger gewesen, sondern <Folie 11> für den pastoralen Kontext des Büßerinnenhauses St. Hieronymus in Wien. Sie wurden aber in das Konzept dieses Buches von Anfang an einbezogen, sind also nicht, wie oft bei Einblattdrucken, erst sekundär in den Trägercodex geraten.

Wer mehr wissen will, <Folie 12> lese in MeSch V nach – dieses Katalogisiat auch online –, kaufe die Festschrift für Gisela Kornrumpf oder nütze die von mir erstelle Quellensammlung zu St. Hieronymus. Diese versucht alle Quellen zu dieser stadt- und sozialgeschichtlich im höchsten Masse bemerkenswerten Institution zusammenzutragen (und hat weil der Tag nur 24 Stunden hat und mich noch andere Dinge interessieren, noch erhebliche Lücken [vor allem Tieferes zu den Grundbüchern]). Ich habe von meiner historisch-hilfswissenschaftlichen Vergangenheit noch rudimentäre Kenntnisse, aber ohne die Hilfe von einem Stock unter mir, der quellenkundlichen Abteilung des IMaFo wäre das alles noch viel falscher als es leider trotzdem im Detail noch ist.

Haltepunkt: So funktioniert Interdisziplinarität – selbst wenn Herr Roland sie macht – nicht. Sie bringt nur wirkliche Fortschritte, wenn man loslässt und andere mit ins Boot holt.

 

2) Kooperation mit der Musikwissenschaft <Folie 13>

Netter Weise muss man da das Büßerinnenhaus gar nicht verlassen, denn Robert Klugseder vom Institut für kunst- und musikwissenschaftliche Forschung der ÖAW hat mich darauf aufmerksam gemacht, dass Cod. 3079 der ÖNB auch für die Büßerinnen bestimmt gewesen sein könnte. Er hat also nicht so auf den Codex geschaut, sondern so, <Folie 14> und er hat sogar umgeblättert <Folie 15> und das gesehen.

Er hat sich erinnert, dass er von seinem damaligen Projektleiter Alexander Rausch gezwungen wurde, eine Einschulung zu besuchen, in der ich versucht habe, in zwei Tagen, Mussikwissenschaftern ein optisches Grundsensorium und einige Basis­begriffe zum Buchschmuck vor allem auch in Codices die beide Fachgebiete betreffen, zu vermitteln.

<Folie 16> Robert Klugseder und ich arbeiten jetzt schon lange zusammen und haben die Forschung zu Codices modular gesplittet, dann für die jeweiligen Kataloge Beschreibungen gemacht und den Partner als Mitautor genannt. <Folie 17> Für MeSch V ist da vor allem ein Chorbuch zu nennen, das entweder für die Pfarrkirche Perchtoldsdorf entstand oder unmittelbar darauf dorthin gelangte. Chorbücher für Pfarrkirchen, Chorbücher mit vergleichsweise geringem Repräsentationsanspruch, Initialen auf bescheidenem Niveau und dann eine der ganz frühen autonomen Stadtansichten nördlich der Alpen.

<Folie 18> Noch einmal zurück zu Cod. 3079. Der Band enthält eine deutschsprachige Liturgie für Frauen und der hl. Hieronymus spielt offenbar eine zentrale Rolle. Das passt alles wunderbar.

Aber leider sind die Quellen nicht so, wie wir uns das wünschen: einfach und widerspruchsfrei. Und: Wenn man dann auch noch KollegInnEn fragt, wird alles sehr schnell, sehr kompliziert. Fragen lassen sich mitunter mit vernünftigem Aufwand nicht (sofort) lösen. Wie das AEIOV Kaiser Friedrichs III. in diesen Codex gelangte, bleibt derzeit noch unklar. In Büchern gilt es als Eignerzeichnen, bei Gebäuden und anderen Kunstwerken hat man schon lange erkannt, dass es auch als Hinweis auf Stiftungen fungieren kann. Also eine Stiftung des Kaisers für die mehr und mehr zu reinen Nonnen werdenden „Büßerinnen“? Wahrscheinlich, aber vertrackt ist, dass der Codex aus der Ambraser Sammlung stammt, also kaiserlicher Altbestand ist.

<Folie 19> Weniger problematisch ist die kunsthistorische Einordnung. Da haben wir es mit der qualitativ hochwertigen Nachfolge des Lehrbüchermeisters zu tun. Wien als Entstehungsort steht außer Zweifel, und auch das Datum der vermuteten Stiftung, 1477, passt gut. Karl-Georg Pfändtner erwähnt den Codex in seiner Lehrbüchermeister-Monographie nur kurz; hier zwei konkrete Beispiele, die die Nähe demonstrieren: Man vergleiche bei Cgm 6244 die „fleischigen“, mit einem Glanzlicht versehenen Blasen im Buchstabenkörper oder beim Beispiel aus Trient die vollfarbigen Elemente im Filigran.

Interdisziplinarität konstituiert sich aus Bereitschaft, Basisverständnis für die Möglichkeit der anderen Disziplinen, vor allem aber aus Kompetenz im eigenen Bereich. Daher habe ich sie hier mit ein bisschen Stilgeschichte konfrontiert, um klar zu machen, wofür KunsthistorikerInnen stehen und was sie können.

 

3) Kooperation mit der germanistischen Sprachwissenschft <Folie 20>

Die aus dem österreichischen und bayerischen Kulturraum stammenden Codices bilden den Grundstock der in MeSch V und VI bearbeiteten Handschriften der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Mitunter benötigt man Hilfe, wenn Vergleichscodices so eingeordnet sind, dass sie dem eigenen Material widersprechen. Da bietet sich eine Kooperation mit der Sprachwissenschaft an. Ein besonders schönes Beispiel dafür ist der Münchener Jüngere Titurel, der häufig seine Koffer packen musste; Tirol und Wien waren beliebte Vorschläge. Zuerst nur von den Germanisten beachtet, weil in Privatsammlungen verborgen und nur abschriftlich bekannt, stand das Sprachwissenschaftliche vorerst im Zentrum. Deren heute nicht mehr tragfähige Beschränkung der Afftrikatenschreibung ch/kch auf das Südbayerische, also ausschließlich für gesprochen „KCHAS“, und die Einschätzung des Hobbykunsthistorikers und Vollbluttirolers Franz Unterkircher ergaben eine toxische Mischung. Alle waren von der Tiroler Entstehung überzeugt.

Unterkircher hatte sogar recht, der Dekor weist viele italienische Elemente auf. Bloß eine punktuelle Übernahme von Italianismen gibt es in Tirol einfach nicht. Die Buchmalerei des Trentino ist rein italienisch geprägt, weiter nördlich gibt es entweder nordalpinen oder italienischen Stil, je unvermischt. <Folie 21> Anders im ganzen bayerisch-österreichischen Raum, wo wir oft auf punktuelle Musterbuch-Italianismen treffen.

<Folie 22> Charlotte Ziegler lokalisierte unter Ignorierung aller Erkenntnisse der Sprachwissenschaft den Codex nach Wien und rief dadurch berechtigten Widerspruch hervor, obwohl ihre stilistischen Vergleiche durchaus tragfähig gewesen wären. <Folie 23> Ihr Kardinalfehler war, dass alles, was für sie wienerisch ansah, auch in Wien entstanden sein musste. Die Möglichkeit des Kulturexportes wurde nicht einmal angedacht.

Um dem Problem Herr zu werden, musste kooperiert werden. Peter Wiesinger, Emeritus der Universität Wien und wirkliches Mitglied unserer Akademie, war dem Katalogisierungsprojekt immer schon hilfreich zur Seite gestanden. Nun konnte ich ihn zu einem Experiment gewinnen. <Folie 24> Ich hatte eine Lokalisierungsidee, die der bisherigen Einordnung diametral widersprach und verheimlichte das. Wir wollten beide unbeeinflusst das tun, was wir können. Das haben wir getan und die Analysen trafen sich an einem Punkt: in Regensburg. <Folie 25> Das Buch ist druckfrisch, 2015 publiziert. Sie können es kaufen, als schön produziertes Buch zum Blättern, sie können es aber auch online benützen.

Wiesinger bestimmt das Sprachniveau als „herrensprachliches“ Mittelbairisch und erkennt Elemente, die den sehr konservativen Schreiber im Westmittelbairischen verorten. Einzelne Einsprengsel weisen sogar in den Norden, schlussendlich wird die Regensburger Stadtsprache in ihrer hochsprachlichen Isolierung vom stark dialektal-nordbairischen Umfeld als Ergebnis formuliert.

Mein Anfangsverdacht gründete auf diesem Vergleich, zwischen den Ranken des Martinus opifex (oben und unten) und dem Titurel. Man vergleiche die sehr sonderbare Rahmung des Bas de page, den ähnlichen Akanthus und als ein auch für kunsthistorische Laien leicht erkennbares Leitmotiv, jene achterförmig scheinende Blüte.

 

4) Das interdisziplinäre Projekt "Illuminierte Urkunden" <Folie 26>

Und auch das Projekt „Illuminierte Urkunden als Gesamtkunstwerk“ gemeinsam mit dem Digital Humanist Georg Vogeler in Graz und dem historischen Hilfs­wissenschafter Andreas Zajic vom IMaFo hat in der Katalogisierung seinen Ursprung. Der Dürnsteiner Stiftbrief als Anstoß zur Zusammenarbeit vertritt einen Stil, <Folie 27> der der Spätphase des Rationale Duranti der österreichischen Herzöge entspricht, also der Hofkunst Wiens um 1405; Andreas Fingernagel hat das entsprechende Katalogisat in MeSch II erarbeitet.

IllUrk steht für KollegInnEn, die durch das Bündeln von Fachwissen einer Quellengattung Herr werden wollen, die – bis auf Einzelstudien mit disziplinären Klappen – bisher weitgehend unbeachtet blieb. Wir haben aus der Handschriftenkatalogisierung heraus und aus dem Erfahrungsschatz der historischen Hilfswissenschaften eine für uns alle höchst überraschende breite Akzeptanz gefunden, die sich auch im Gewinnen von Fremdmitteln ausgedrückt hat.

 

Es macht Spaß mit illuminierten Büchern zu arbeiten; es macht Spaß mit spannenden KollegInnEn zusammenzuarbeiten. Bloß man könnte besser für die erbrachten Leistungen bezahlt werden.

 

 

 

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