Neuzeitliche Blattzählung in Tinte: 1a-7a (das a jeweils später in Bleistift hinzugefügt), 1-329; zusätzlich 228*, 273*. (229-297) originale Foliierung rechts oben in roten römischen Ziffern (i-lxx, ab Beginn des Sanktorale bis zum Ende von Lage 32). VS in Bleistift mit I bezeichnet. – Lagen: IV7a + 17. V170 + III176 + III182 + 4. V222 + (III+1)228* + 10. V327 + I329. Bl. I ist das erste Blatt der ersten Lage. Bl. 224 Einzelblatt. HDS um das Doppelblatt 328/329 gelegt (über den unter dem eigenschlagenen Leder des Einbands liegenden HDS ein weiteres Spiegelblatt aus Pergament geklebt). – Reklamanten rechts unten; (10v) mittig, darüber Kustode (Ius). Häufig Blattzählung innerhalb der Lagen rechts unten noch sichtbar.
Schriftart: Textualis formata (Textura) Zwei Schriftgrößen. (178r-182r) Kanon, einspaltig, 22 Zeilen. Schriftspiegelbegrenzungen und Zeilengerüst in Tinte, in der ersten Lage die Spalten von bis zum Seitenrand durchgezogenen Doppellinien in Tinte begrenzt, danach einfache Linien, nun auch unterhalb der ersten und oberhalb der ersten Zeile durchgezogen (ebenso ganz zu Beginn bei der zweitobersten und der zweituntersten Zeile) .
Rote Überschriften. Rot gestrichelte Satzanfänge. Ein- bis dreizeilige rote und blaue Lombarden. – Gelegentlich auf der obersten Zeile große Cadellen in Tintenbraun und/oder Rot (z. B. 19r, 20v, 63r, 103v, 124v, 138r), davon zwei (124v, 138r) als Fleuronnéecadellen gestaltet: (124v) das Ornament aus Knospenreihen, Besatzblättern mit eingekerbtem Rand und kammartig abstehenden Fäden bestehend, die palmettenförmig geschwungene Fibrillen ausbilden; (138r) neben den Fadenkämmen halbpalmettenartiger Besatz, dazu ein "Vogelkopf" als Füllmotiv und eine angedeutete Besatzmaske. – (171v) zu Fronleichnam Fleuronnéeinitiale mit sorgfältig gezeichnetem, olivgrünem Ornament, das aus z. T. ährenförmig in kleinen Medaillons angeordneten, leicht eckig zusammengedrückten Knospen sowie Reihen und Pyramiden von Besatzperlen, einer Besatzspirale und in Häkchen oder schräg gestellten Mäandern auslaufenden Fadenfortsätzen besteht; auch die aneinandergereihten Besatzperlen eckig geformt. – Am Beginn der wichtigsten Messen zwölf vier- bis zehnzeilige Deckfarbeninitialen, davon zwei (17r, 178r) historisiert: 1r (Erster Adventsonntag), 17r (Weihnachten; historisiert: Geburt Christi), 103v (Palmsonntag), 139r (Ostersonntag), 157r (Christi Himmelfahrt), 162v (Pfingstsonntag), 171r (Dreifaltigkeitssonntag), 172v (Dedicatio ecclesiae), 178r (Te-igitur; historisiert: Geißelung Christi), 183r (Erster Sonntag nach der Oktav von Pfingsten), 229r (Anfang des Sanktorale), 237r (Mariä Lichtmess). – (177v) Miniatur: Kreuzigung Christi (Kanonbild, 305×195 mm). – (Auf den Seitenrändern 169r, 175r, 192v Spuren grüner Rankenzeichnungen, 182r minimale Fleuronnéeübungen.)
Bildprogramm: Historisierte Initialen
17r = Die Weihnachtsinitiale umrahmt eine Darstellung der knienden Gottesmutter, die das vor ihr auf dem Boden liegende Jesuskind anbetet. Maria ist in ein dunkelblaues Gewand und einen kupfergrünen Mantel gekleidet, der ihr bis zur Taille von den Schultern gerutscht ist und sich auf dem kreissegmentförmigen Wiesenstück im unteren Bogen des Binnenfelds ausbreitet. Auf der oberen Terrainkante ruht, auf den Mantelstoff gebettet, das nackte Jesuskind auf, das mit rot-gelbem Kreuznimbus wiedergegeben ist und mit senkrecht ausgestrecktem Ärmchen einen Segensgestus andeutet.
178r = Im Binnenfeld der Te-igitur-Initiale Darstellung der Geißelung Christi. Christus (hier mit blau-gelbem Kreuznimbus) ist mit den Händen an dem als Geißelsäule fungierenden Schaft des Buchstabens festgebunden, den er von links umfängt und beiderseits dessen zwei Schergen stehen, die mit Geißeln auf ihn einschlagen. Der eine hat sein Folterinstrument mit beiden Händen gepackt und streckt diese über dem Kopf aus, der andere schwingt die Geißel mit der Rechten, während er mit der Linken am Seil zieht, mit dem die Hände Christi zusammengebunden sind. Dieser Scherge ist mit geöffnetem Mund und hüpfend wiedergegeben und trägt einen Judenhut. Beide haben gerötete Wangen. Der Körper Christi ist bereits mit Wunden übersät.
Kunsthistorischer Kommentar: Deckfarbeninitialen
In den Buchstabenkörpern entweder flach auf den Schäften aufliegende Blätter mit gezacktem/gezahntem Rand (z. B. 17r) oder etwas "welk" wirkende Blattgirlanden mit abgerundeten, kurzen Blättern und fallweise durch Punktreihen hervorgehobener Mittelrippe (z. B. 178r); auch gedrehtes Blattwerk, dessen Seitenblätter z. T. einen ungefähr kleeblattbogenförmigen Rand haben (z. B. 183r). Als Zusatzmotiv V-förmiges Blattgebilde aus in der Mitte gefaltetem, gezahntem Blatt (171r). Dreidimensional gestaltete Rahmen, teilweise mit aufgesetzten Knöpfen (z. B. 1r, 139r, 178r). Binnenfelder und Außengrundzwickel meistens mit Filigranornament überzogen. Die Ranken, deren Blätter sich meistens aus je einem Paar spitzer Blattzähne und einer längeren, schmalen, geschwungenen und z. T. rautenförmig endenden oder aber breiteren und geknickten mittleren Blattzunge zusammensetzen, jeweils zu einigen kreisrunden Medaillons geschlungen; diese umschließen fallweise ein Rankenblatt oder eine Blattgruppe, deren Blattspitzen um den Rankenstamm herumgreifen. Des Weiteren kleinere dreiteilige Blätter mit wulstartig umrandeter, gerippter tropfenförmigen Vertiefung. Endmotive der Ranken sind Fibrillen oder charakteristische schmale Kelchblüten, die an der Vorderseite einen von einem Wulst umgebenen Einschnitt aufweisen und einen langen, spitzen Fruchtkolben umschließen. Die Kelchblüten können auch als Manschette für Serifen dienen, daneben rosettenförmige Manschetten. (17r) in einem der Rankenmedaillons Kelchblüte mit längeren, den Rankenstiel umgreifenden Seitenblättern, (229r) die Rankenausläufer der Initiale um einen senkrechten Rankenstab geschlungen, dessen oberes Ende in dem geöffneten Mund eines gelben Kopfes mit abstehenden Ohren mündet, (237r) astartige Rankenformation auf dem Bas-de-page. Auffällig ist, dass die Ausführung der Ranken mitunter erheblich von der überall sichtbaren Vorzeichnung abweicht. – Die Farbpalette setzt sich aus dem etwas stumpfen Grundakkord Dunkelblau / Altrosa / Grün – meistens "Kupfergrün", (139r, 183r, 229r) auch ein gelblicheres, ins Oliv gehende Grün – zusammen; hinzu kommen Orangerot für Details und Initialgründe (159r hierfür ausnahmsweise Weinrot, 178r altrosa) sowie Gelb für Details und Filigranornament (s. unten; hierfür auch Grün bzw. Weinrot), außerdem Braun, Schwarz und Weiß für weitere Details und Konturen bzw. Höhungen. – Das dichte Filigran in Cod. 1777 mit seinen Strängen paralleler Fadenranken, deren beide äußere Fiederbesatz aufweisen und die zu Medaillons eingerollt sind, in die kleine Kreise gesetzt sind, entspricht, in vergröberter Form, dems zwischen 1410 und ca. 1415 von Heinrich Aurhaym zur Verzierung der Initialgründe verwendeten Ornament (zu diesem Illuminator s. bei Wien, ÖNB, Cod. Ser. n. 89). – Historisierte Initialen: Die schlanken Figuren mit ihrer expressiven Mimik und ihren Körperbewegungen erzeugen trotz der formvereinfachenden und nicht sehr sorgfältigen Ausführung eine gewisse Lebendigkeit der Darstellungen, zu deren Anschaulichkeit auch narrative Details wie der von Marias Schultern herunterrutschende Mantel, der Segensgestus des Jesuknaben oder der Griff des einen Schergen der Geißelung zu dem Seil, mit dem die Hände Christi zusammengebunden sind, beitragen. Marias Mantel ist in relativ raumhaltige, weiche Falten gelegt; keine eckbrüchigen Draperiemotive.
Von demselben Illuminator stammt die unfigürliche Eingangsinitiale mit Ranken in Graz, UB, Ms 733/I (s. Beier 2010, Kat. 73, Abb. 495: 1r; ). Der Hauptteil dieses Codex (vor Bl. 385) kann mit Hilfe der Wasserzeichen in die erste Hälfte der 1440er Jahre datiert werden (ähnliche Wasserzeichen z. B. auch in Graz, UB, Ms 679, datiert 1442; Frau Ute Bergner sei für die Zurverfügungstellung ihres Materials zu den Wasserzeichen dieser Codices gedankt). Die am Ende des Textes des Ms 733/I vermerkte Jahreszahl 1466 ist nicht als Datierung anzusehen, sie gehört vielmehr zum Kaufvermerk des Andreas de Czepcz, Kooperator in Kindberg (Steiermark); davor hatte die Handschrift Johannes Candorffer, Pfarrer in Kindberg, gehört. Die Lokalisierung des Cod. 1777 in die Steiermark, die zum Erzbistum Salzburg gehörte, und seine Datierung in die 1440er Jahre basieren auf dem Vergleich mit der Grazer Handschrift. Ein Indiz für eine steirische Entstehung des Missale liefert auch das "Aurhaymsche" Filigranornament. – Die Fleuronnéeinitiale in Cod. 1777 ist nicht dem Florator des Grazer Codex zuzuschreiben.
Kanonbild
Von anderer, sorgfältiger arbeitender Hand, die einen ganz anderen Figuren- und Ornamenstil vertritt und andere Farben verwendet (helles, gelb gehöhtes Grün, leuchtendes Blau und Weinrot als Hauptfarben), stammt das Kanonbild in Cod. 1777 samt Rankenbordüre. Die dynamisch miteinander verschlungenen Ranken, auf die stellenweise ring- oder andersförmige Perlen manschettenartig aufgefädelt sind, treiben hier ausladende Blätter, die sich aus langen, schmalen, geschwungenen Blattzungen zusammensetzen und wellig auslaufen. Auch das Filigranornament auf dem Bildgrund, das in einem jetzt großteils silbrig, stellenweise noch golden glänzenden Metall aufgetragen wurde, unterscheidet sich von demjenigen des Initialmalers.
Inwieweit sich in den relativ breit angelegten Figuren des Kanonbilds salzburger Einflüsse manifestieren, wäre noch genauer zu untersuchen. Indirekt mag vielleicht ein Werk wie das Kanonbild des sogenannten Jeremias-Meisters (Werkstätte der Grillinger-Bibel) auf Bl. 114v in Salzburg, St. Peter, a XI 3 (nach 1432) als Vorbild für die Kreuzigung des Cod. 1777 gedient haben. Diese Miniatur zeigt jedoch deutliche "massigere", rundplastisch aufgefasste, fest auf dem Boden stehende Figuren, deren Gewänder vor dem Körper wenige dünne Falten werfen. Im vorliegenden Missale sind Maria und Johannes hingegen jeweils, spiegelsymmetrisch zueinander, einem C-förmigen Schwung unterworfen, der einen entsprechenden, durchgehenden Zug in den Stoffen erzeugt und die Figuren stärker in die Fläche einbindet. Auch die fast frontale Gestalt Christi ist durch kurvige Linien etwas summarisch umrissen; zugleich sind die einzelnen Muskeln und die Knochen der Figur sehr deutlich herausmodelliert (und dabei wiederum bogenfömig vereinfacht), während der Illuminator des Kanonbilds aus St. Peter danach trachtet, auch das Gesamtvolumen des Gekreuzigten zu betonen – bei aller Detailliertheit der Binnengliederung. Hinzu kommt, als weiterer Unterschied zur Darstellung des sehr fein modellierenden Salzburger Illuminators im Codex a XI 3, der lockere und pastose Farbauftrag in Cod. 1777, insbesondere beim Inkarnat; er entspricht der linear angelegten, durch lockere Schraffen und aufgesetzte Lichter ergänzten Faltenzeichnung. Insgesamt zeigen die beiden Kanonbilder somit jeweils eine völlig andere Auffassung der Figur. – Auch die vermutlich in Salzburg um 1440 entstandene Kreuzigung Inv.-Nr. 2/7 in den Kunstsammlungen des Augustiner-Chorherrenstifts St. Florian, in der die beiden Trauernden zwar ebenfalls von einem starken Schwung erfasst werden, aber mittels der "Stoffsockel" ihrer Gewänder und ihrer fast senkrechten Konturen eine ungleich größere Standfestigkeit haben als ihre Pendants in Cod. 1777 und zudem kräftig modelliert sind, ist lediglich aufgrund der Trauermotivs des Johannes – in beiden Darstellungen legt dieser seine rechte Hand an seine Wange – mit dem vorliegenden Missale vergleichbar. Aufgrund dieser beiden Vergleiche allein sind die Beziehungen zur Salzburger Malerei somit allenfalls als lose zu bezeichnen.
Einband: 15. Jh. Gotisch Streicheisenlinien
Braunes Leder über Holzdeckeln, stark beschädigt. Rahmung und Rautung durch dreifache Streicheisenlinien. Spuren von je fünf Buckeln und zwei Hakenschließen. Auf dem Rücken Schilder mit Titel und Vorsignaturen (Hofbibliothek).
Kalender und Sanktorale enthalten Einträge, die auf die Erzdiözese Salzburg hinweisen: Depositio s. Rudberti (2ar: 27. März, als Fest, jedoch ohne Offizium), Erentrudis (3av: 30. Juni; 257r Verweis mittels alter Foliierung auf andere Offizien), Translatio sancti Erentrudis (5ar: 4. Sept., ohne Offizium), Translatio s. Rudberti bzw. Virgilii (5ar: 24. bzw. 26. Sept. jeweils als Fest, Offizium 278r–279v), Octava s. Rudberti bzw. Virgilii (5av: 1. bzw. 3. Okt., Offizium 281rv), Maximilianus (5av: 12. Okt., ohne Offizium), Virgil (6ar: 27. Nov, als Fest, jedoch ohne Offizium), Octava sancti Virgilii (6av: 4. Dez.). Der für (Nieder-)Österreich typische hl. Koloman im Kalender erwähnt (5av: 13. Okt., ohne Offizium), ebenso die Hauptheiligen der Salzburger Suffraganbistümer. – Bemerkenswert der weitgehend unberührte Zustand der Handschrift, der bei liturgischen Büchern unüblich ist. Vorbesitzer 1: Schloss Ambras Vorbesitzer 2: Wien, Hofbibliothek, 1665, MS. Ambras. 67 (1ar) Ambraser Signatur.
Martin Roland (Forschungsstand 2015, MeSch VI; Redaktion Katharina Hranitzky 2022, mit Ergänzungen)
"Beier 2010", "MeSch VI", "AH"
alle Initien
Missale für den Gebrauch der Erzdiözese Salzburg, lat.
(Ir-Iv)
Leer.
(1ar-6av)
Kalender.
(7ar-7av)
Leer.
(1r-172v)
Temporale (bis Fronleichnam).
(172v-174v)
Offizien zur Kirch- und Altarweihe.
(174v-176v)
Gloria, Credo, Präfationen.
(177r)
Leer.
(177v)
Kanonbild.
(178r-182r)
Canon missae.
(182v)
Leer.
(183r-228*r)
Temporale (ab dem ersten Sonntag nach der Oktav von Pfingsten).
(228*v)
Leer.
(229r-289v)
Sanktorale (Sequenzen: u. a. 263ra-263rb AH 55, 73 f., Nr. 62 [De sancta Anna], mit dieser Handschrift, Sigle M; 278va-278vb AH 55, 129 f., Nr. 89 [De sancto confessore], mit dieser Handschrift [hier zum hl. Rupertus], Sigle a; 281rb-281va AH 53, 344 f., Nr. 214 [De sancto Ruperto Salisburgensi], mit dieser Handschrift [Oktav des hl. Rupertus], Sigle G).