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Wien, Österreichische Nationalbibliothek (ÖNB), Cod. 2782
LANDBUCH VON ÖSTERREICH UND STEIER. JANS VON WIEN. BABENBERGISCHE GENEALOGIE. HABSBURGISCHE GENEALOGIE. HEINRICH VON MÜNCHEN (deutsch)
Olim: Hist. Prof. 71    Pergament   III, 355 Bl.   330/335×240/255   Tirol, 1439 (vor 27.10.1439)   
Provenienz/Letztbesitzer: Schloss Ambras
Literatur zur Handschrift: CMD-A II 38, Abb. 373 (online).
Lagen: 1I + IIII + 3.V30 + II34 + 32.V354 + 1355; I und 355 sind barocke VS und NS aus Papier (I an II geklebt). Kustoden (am Beginn der Lagen) und Reklamanten z. T. erhalten (21r, 30v) bzw. Reste davon sichtbar (10v, 11r, 20v, 334v).
Schrift:
(1r-354v) Schriftraum: 235/240 × 165/170    Spaltenzahl: 2    Zeilenzahl: ca. 42-44   
Schreiber: Heinricus Gniebarner – Schriftart: Bastarda
Bl. 1r-32r: 225/235×170/180 mm, ca. 40 Zeilen; 1r-3r: eine Spalte. – Bl. 30r-32r leichte Abweichung im Schriftduktus, 32rb die letzten 22 Zeilen in etwas größerer, dickerer Schrift. – Laut Kolophon 354v von Hainricus Gniebarner de Velpach 1439 fertiggeschrieben. Der (laut Menhardt I, 297, und Strauch 1900, XXXII) aus Feldbach in der Oststeiermark stammende Heinricus war Kaplan Herzog Friedrichs IV. von Österreich, Graf von Tirol, † 1439 (diese und die folgenden Informationen aus Palme/Siller 1982/1983). 1432 wird ihm, als Kleriker der Salzburger Diözese, vom Herzog in Innsbruck ein Tischtitel verliehen (s. auch Spielberger 1998, 138, und Menhardt I, 297). 1433 wird er Pfarrer von Mareit (Mareta) bei Sterzing (Vipiteno) in Südtirol. 1437 erscheint er als Zeuge einer Bücherschenkungsliste für die Schule in Hall in Tirol (s. erstmals Straganz 1903, 390, mit Anm. 4). Weiters nennt er sich als Schreiber einer Urkunde von 1452 im Pfarrarchiv von Mareit (Siller 1979, Urkunde Nr. 16, Taf. 3) sowie des Mareiter Urbars von 1456. Schließlich konnte er mit dem Schreiber des pfarrlichen Weistums von Mareit aus dem Jahr 1443 identifiziert werden, das er wohl selbst verfasste (abgedruckt bei Palme/Siller 1982/1983, 58-60). Hainricus war darüber hinaus offenkundig sowohl der Schreiber als auch der Florator des 1430 datierten Psalters Stuttgart, Württembergische Landesbibliothek, Cod. HB II 29 (siehe Handschriftencensus, Nr. 14716), den die 1432 verstorbene Anna von Braunschweig, Gemahlin Herzog Friedrichs IV. von Tirol († 24.6.1439), hat lazzen schreiben (Kolophon 168r); der Codex enthält auch denselben Schreiberspruch (98v: Swing dich morgensteren) wie Cod. 2782 (hier 61vb). – Heinricus Gniebarner ist somit auf jeden Fall zwischen 1430 und 1456 in Tirol nachweisbar.
Ausstattung: Illuminiert   Rubriziert   Fleuronnéeinitiale(n)   Figürlicher Buchschmuck   
Buchmaler: Heinricus Gniebarner
Der gesamte Buchschmuck stammt vom Schreiber des Codex, Heinricus Gniebarner: vgl. die übereinstimmenden Blätter und Knospen beim tintenbraunen Schrift- und Cadellendekor einerseits und bei den bunten Lombarden und Initialen andererseits; insbesondere die große Fleuronnéecadelle 35rb schlägt eine Brücke zwischen Schrift- und Initialdekor. – Von Gniebarner stammt eindeutig auch der (lediglich etwas flüchtiger ausgeführte und stellenweise motivisch geringfügig abweichende) Dekor in dem von ihm auch geschriebenen, 1430 datierten 'Psalter der Anna von Braunschweig', Cod. HB II 29 der Württembergischen Landesbibliothek in Stuttgart (siehe Handschriftencensus, Nr. 14716).
In allen Texten (außer 80r-84r) rote Überschriften; in der Weltchronik außerdem rote Bildtitel, gelegentlich Seitentitel, jeweils über beide Seiten in Rot bzw. rechts oben in Braun (Vorschreibungen?), z. T. beschnitten, z. B. 166r, 167r, 168r, 175r ff. in Textualis, 188r, 189r in Bastarda; (37vb, 61vb) die letzte Zeile der Seite mit einem rot geschriebenen Spruch gefüllt. Rote Satzstrichel bzw. der erste Vers jedes Reimpaares rot, der zweite gelb gestrichelt. Stellenweise flüchtige rote Wellenlinien als Zeilenfüller; als solche des Weiteren der Initialornamentik entsprechende Motive (siehe unten). – Schriftverzierungen (u. a. rechteckig verlängerte Unterlängen, darin Punkte etc.). – Cadellen (als Anschlussbuchstaben an [nicht ausgeführte] Initialen), z. T. mit Profilköpfen. – Zu den Absätzen Lombarden, darunter einige gespalten und/oder mit Dekor (z. B. auf der ersten und der letzten Seite). – Zu Beginn der Texte, einiger kleinerer Bibelbücher sowie einiger Abschnitte der Weltchronik Lombarden oder gespaltene Initialen mit Dekor bzw. Fleuronnéeinitialen. – Geplant waren des Weiteren 17 Initialen am Beginn der meisten größeren Abschnitte der Weltchronik (35r 16-zeilig; 37r , 44r, 74r etc. sieben- bis elfzeilig) und ca. 331 Illustrationen zum Text: siehe die Freiflächen im Textblock, davon einige zweispaltig (40r, 41r, 100r, 107r, 188r, 204r, 227r), sonst einspaltig, gelegentlich schmäler als eine Spalte (81v, 82v, 84r, 94v, 96r, 123r). Einige Illustrationen hätten auf dem Seitenrand platziert werden müssen oder wären in diesen hineingeragt: 132vab, 275r und 50v Bildtitel in der letzten Zeile bzw. wenige Zeilen darüber, 278v und 145v jeweils auf dem linken Seitenrand.



Einband: Wien (Hofbibliothek)     1720     Rolle   Golddruck   Supralibros        
Helles Leder über Pappe. Auf VD und HD in Goldprägung das kaiserliche Supralibros; auf dem VD außerdem oben das Kürzel für die Holfbibliothek, unten die Initialen des Johann Benedikt Gentilotti (1705-1732) mit der Jahreszahl.


Schreibsprache: Bairisch (Spielberger 1998, 138), "österr." (Menhardt I, 297). – Abfassungsdatum der Habsburger-Genealogie jedenfalls nach der Wahl Herzog Albrechts V. zum römischen König (Albrecht II.), 18.3.1438 (31va Erwähnung der Königswürde Albrechts II. – ohne Nennung des Datums der Krönung, lediglich mit dem Hinweis der hernach [...] romischer kunig wart – im Absatz zu Albrecht IV., Vater Albrechts II.), und vor dessen Tod, 27.10.1439 (im Text nicht erwähnt). Letztes genanntes Datum: Tod Friedrichs IV (24.6.1439, die Zahl 39 offenbar über Rasur, das heißt ursprünglich vielleicht fehlerhaft). – Die Habsburger-Genealogie in Cod. 2782 ist möglicherweise ein Autograph Heinrich Gniebarners (das textliche Verhältnis zu anderen Habsburger-Genealogien, s. z. B. die Auflistung in Moeglin 1993, 40 f., Anm. 118, bleibt zu prüfen): Dafür sprechen auch das offene Ende des Textes (ohne abschließendes Wort wie bei der Babenberger-Genealogie, die mit Amen endet, und ohne Zeilenfüller wie dort) und die fünf leer gebliebenen Seiten (32v-34v) nach dem letzten Eintrag (32rb), die auf eine geplante Fortsetzung der Genealogie hindeuten. – Lokalisierung: Für eine Entstehung der Handschrift im Auftrag des Herzoghofs in Innsbruck sprechen vor allem die Identität des ab 1430 in Tirol nachweisbaren Schreibers und Florators Heinricus Gniebarner, der auch den 'Psalter der Anna von Braunschweig' schrieb und ausschmückte, des Weiteren der Inhalt der historischen Sammelhandschrift mit den Genealogien, schließlich das Ornamentmotiv des Bindenschilds (302v), das auch im Psalter als Schriftverzierung bzw. Zeilenfüller vorkommt (81v, 127v). Ursprünglicher Auftraggeber sowohl des Textes der Habsburger Genealogie als auch der Handschrift war somit vermutlich Friedrich IV. (so auch Palme/Siller 1982/1983, 54); die letzten Zeilen der Habsburgischen Genealogie (32rb), die mit der Aufzählung der Kinder Friedrichs und Annas von Braunschweig beginnen (Die selb fraw Anna gewan czwen sun ...) und mit dem Bericht vom Tod des Herzogs am 24.6.1439 enden (siehe oben) hätte Gniebarner in diesem Fall nachgetragen, worauf tatsächlich die dickere Schrift in diesem Textteil hinzuweisen scheint. Abgesehen davon könnte die gesamte Habsburgsche Genealogie erst kopiert worden sein, nachdem der Rest des ohne Tagesangabe auf das Jahr 1439 datierten Codex, mit dessen Herstellung man zweifellos schon 1438 oder sogar noch früher begonnen hatte, bereits fertiggestellt war: Der Dekor der Habsburger-Genealogie unterscheidet sich tatsächlich farblich leicht von jenem der übrigen Handschrift, außerdem wurde für die Fortsetzung dieses Textes, der auf der Rectoseite des letzten Blatts der dritten Lage direkt im Anschluss an die Babenbergische Genealogie beginnt, ein Binio eingebunden, der die regelmäßige Zusammensetzung des Bandes aus Quinionen unterbricht. Friedrich IV. könnte sich also eventuell irgendwann in der ersten Hälfte des Jahres 1439 dazu entschieden haben, Gniebarner auch noch die Habsburger-Genealogie in den jetzigen Cod. 2782 aufnehmen zu lassen, die dann nach dem Tod des Herzogs noch um einige Zeilen ergänzt wurde. – Es hat den Anschein, als habe Gniebarner die Handschrift noch vor dem 27.10.1439 aus der Hand gegeben, da sonst wahrscheinlich Albrechts Tod in einem eigenen Absatz darin vermerkt worden wäre – die Abfolge der wichtigsten männlichen und weiblichen Habsburger erfolgte nach deren Sterbedaten. Möglicherweise wurde die Handschrift dem minderjährigen (noch nicht ganz zwölfjährigen) Sohn Herzog Friedrichs IV., dem nachmaligen Erzherzog Siegmund "dem Münzreichen" (26.10.1427-4.3.1496) mitgegeben, als dieser im September 1439 zusammen mit seinem Vormund, Herzog Friedrich V., dem späteren Kaiser Friedrich III., aus Innsbruck abreiste (nämlich "nach Wiener Neustadt und Graz", siehe Baum 1987, 64).
Vorbesitzer 1: Siegmund (Sigmund) von Tirol, Erzherzog von Österreich (1427-1496) (?) , 1439
Vorbesitzer 2: Maximilian I., Kaiser (1459-1519) , nach 1496 (?)
Die Handschrift ist mit ziemlicher Sicherheit mit Nr. 212 im Inventar zu der Büchersammlung in einem Gewölbe der Innsbrucker Burg zu identifizieren (Gottlieb 1900, 101: "Die österreichisch Cronick teutsch gereimbt auf pergamen geschribn in rot gepunden mit pugklen in grossem form"), gehörte also mit höchster Wahrscheinlichkeit zur Büchersammlung Kaiser Maximilians, in die sie vermutlich aus dem Besitz Erzherzog Siegmunds des Münzreichen von Tirol († 4.3.1496) gelangt war.
Vorbesitzer 3: Schloss Ambras , nach 1574
Nach ca. 1574 in die Bibliothek von Schloss Ambras verbracht.
Vorbesitzer 4: Wien, Hofbibliothek, 1665, Ambras 320
1665 von Peter Lambeck nach Wien gebracht: 1r oben die Signatur MS. Ambras. 320..

Die ersten drei Texte auch in Wien, ÖNB, Cod. 2778.

Katharina Hranitzky (Forschungsstand 2013, MeSch VI, Ergänzungen 2022)
"CMD-A II", "Menhardt I", "Strauch 1900", "Palme/Siller 1982/1983", "Spielberger 1998", "Straganz 1903", "Siller 1979", "Handschriftencensus", "Rettelbach 1998", "Moeglin 1993", "Baum 1987", "Gottlieb 1900", "MeSch VI", "Rauch 1793-1794"
alle Initien
(Ir-Iv) Leer.
(IIr) Federproben.
(IIv) Leer.
(IIIr) Federproben.
(IIIv) Leer.
(1r-3r) Landbuch von Österreich und Steier (ed. Strauch 1900, 706-729, Einleitung 687-705 [Anhang II: Joseph Lampel]).
(3va-28vb) Jans von Wien Fürstenbuch (ed. Strauch 1900, 599-679).
(28vb-30ra) Babenbergische Genealogie, lat./dt. (ed. Strauch 1900, 680-686 [Anhang I, mit Einleitung]).
   1
30ra Expl.   ... (Schlussschrift, rot) Hye hat nun der von Osterreich geslecht ein end wenn ez gar ab gangen was und des stams nymmer was.
(30ra-32rb) Habsburgische Genealogie, lat./dt. (ed. Rauch 1793-1794, Bd. 1, 380-388, nach Cod. 2782). Von König Rudolf I. bis Herzog Friedrich IV. Aufzählung der wichtigsten männlichen und weiblichen Habsburger, denen jeweils ein Absatz gewidmet ist, nach deren Sterbedaten.
   1
30ra Tit.: (Rot) Nw furpas ist ze merken wie die Graffen von habspurg herczogen wurden zu Osterreich und ze Steyr.
(32v-34v) Leer.
(35ra-354va) Heinrich von München Weltchronik, Textstufe α3.1 (siehe Rettelbach 1998, 538-560).
   3
37vb (Zeilenfüller letzte Zeile, rot) Helfunsgotausallernot etc.
61vb (Zeilenfüller letzte Zeile, rot) Swingdichmorgensteren
(entspricht Stuttgart, Württembergische Landesbibl., Cod. HB II 29 [siehe Handschriftencensus, Nr. 14716], 98v)
354v Expl.   ... (Schlussschrift, Schreibername, Datierung) Hye hat das pu/ech ein end / Got uns sein gnad send / Per manus Hainrici Gniebarner de Velpach [vermutlich Feldbach, Oststeiermark] anno etc. XXXIX [1439].
(darin) Jans von Wien Weltchronik.
(darin) Adam und Eva, oberdeutsche Reimfassung.