Die Arbeit baut auf den Ergebnissen mehrerer Forschungsprojekte auf, die sich in den letzten Jahren mit dem in seiner Bedeutung bislang zweifellos unterschätzten Handschriftenbestand des Benediktinerstiftes Melk beschäftigt haben. In erster Linie ist das in den Jahren 1991-1993 vom Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung finanzierte und an der Kommission für Schrift- und Buchwesen des Mittelalters der Österreichischen Akademie der Wissenschaften durchgeführte Unternehmen "Katalog der Melker Handschriften" zu nennen, dessen Ergebnisse in einem 278 Handschriftenbeschreibungen umfassenden maschinschriftlichen Inventar niedergelegt wurden, das derzeit für den Druck vorbereitet wird. Eine Fülle neuer Informationen zur Frühgeschichte der Melker Bibliothek, die mit besonderem Gewinn für die vorliegende Publikation verwertet werden konnten, erbrachte das von Stift Melk finanzierte, in jüngster Zeit abgeschlossene Projekt "Fragmente in der Melker Stiftsbibliothek"; dabei bildete die 1990 abgeschlossene Dissertation von E. Höchtl (Die adiastematisch notierten Fragmente aus den Handschriften der Stiftsbibliothek Melk - Versuch einer Bestandsaufnahme) eine wertvolle Hilfe. In die vorliegende Publikation sind auch bereits Ergebnisse eingeflossen, die im Zuge der in Arbeit befindlichen Monographie über die illuminierten romanischen Handschriften des Stiftes Melk gewonnen wurden.
Nach Katalogisierungsarbeiten am Melker Handschriftenbestand und einer genauen Erfassung aller in der Melker Stiftsbibliothek erhaltenen Fragmente ist es erstmals möglich, Aussagen über die Melker Bibliotheksgeschichte von den Anfängen bis zum Ende des 12.Jh.s zu machen. Seit etwa 985 soll in Melk ein Kanonikerstift bestanden haben, das im Jahr 1089 von Benediktinermönchen aus Lambach übernommen wurde. Als im Jahr 1121 Abt Erchenfried sein Amt antrat, der dem Stift zu einer ersten kulturellen Blüte führte, könnte das Kloster bereits mindestens 17 Handschriften besessen haben. Am Ende des des 12.Jh.s wies die Bibliothek bereits mindestens 68 Bände auf, der Großteil davon liturgischen Inhalts.
In diesem Kapitel werden alle Fragmente und einige Handschriften, die aus der Zeit vor der benediktinischen Gründung stammen, beschrieben und durch Abbildungen dokumentiert. Neben Fragmenten zweier Bibelhandschriften sind vor allem liturgische Handschriften vertreten: Dazu zählen beispielsweise ein Sakramentar des 10.Jh. (Cod. 1844, HD-Spiegel), und ein Homiliar des 9.Jh. (Cod. 793, Ir); besonders hervorzuheben ist ein karolingisches Homiliar, das die älteste lateinische Überlieferung der 'Doctrina apostolorum' enthält (Cod. 597, 115; 2. Viertel 9.Jh.), besonders hervorzuheben ist. Weiters sind auch mehrere Fragmente von Handschriften überliefert, die dem Schulgebrauch zuzuordnen sind, so etwa ein umfangreiches Fragment von Vergils 'Aeneis' aus der Mitte des 9. Jh.s mit Ergänzungen aus dem 12.Jh. (Fragment 104), ein Blatt mit einem Bruchstück von Arators 'De actibus apostolorum' aus dem 9.Jh. (Fragment 36) und ein Fragment der 'Carmina' des Paulinus Nolanus, ebenfalls aus dem 9.Jh. (Fragment 6).
Am Anfang des 12.Jh.s ist - vermutlich bereits im Melker Skriptorium - die älteste Melker
Überlieferung der Benediktusregel (Cod. 1942) entstanden. Der Regel ist ein Martyrologium
vorgebunden, das mit Sicherheit in Melk geschrieben wurde, nennt es doch am 13. Oktober (58v) an
erster Stelle der zu verehrenden Heiligen den Hl. Koloman, der in einer Lambacher
Handschrift, die vermutlich als Vorlage gedient hat, nicht verzeichnet ist.
Als Durchführungsbestimmungen der Benediktusregel im praktischen Leben mit
Geltungsbereich in einzelnen Klöstern oder Klösterveränden sind die sogenannten Consuetudines
monasticae (Mönchsgewohnheiten) anzusehen. Aufgrund detaillierter Ausführungen zu vielen
Bereichen mönchischen Lebens gehören Consuetudines heute zu den wichtigsten Quellen zur
Erforschung der Kultur-, Rechts-, Liturgie-, Musik- und Theatergeschichte des Mittelalters.
Fragmente von Melker Consuetudines aus der Mitte des 12.Jh.s, die auch die sogenannte Melker
Osterfeier enthalten, sind seit langem bekannt. Dazu wurden aber nun weitere Fragmente in Melk
in einer aus Melk stammenden Handschrift der Wiener Nationalbibliothek aufgefunden, die hier
erstmals präsentiert werden.
(Vgl. Rezension F. Heinzer).
Obwohl das Melker Skriptorium ab der Mitte des 12.Jh.s sehr bedeutend gewesen sein muß, überliefern nur zwei Handschriften, die in diesem Kapitel beschrieben werden, einen Schreibernamen: Chunradus presbyter in Cod. 713 bzw. Warmundus in Cod. 1709.
In Cod. 702 (Diözese Trier, Mitte 11. Jh.) liegt ein bisher unbeachteter Textzeuge der 816
von Kaiser Ludwig dem Frommen auf dem Reichstag zu Aachen verordneten Regel für Kanoniker vor.
Auf Grund einer Analyse des dem Text der Regel vorgebundenen Kalendars (in der vorliegenden Publikation ediert)
konnte die Handschrift in die Diözese Trier lokalisiert und um die Mitte des 11. Jh. datiert
werden. Die Handschrift enthält zwei nachgetragene Namenslisten
aus dem Zeitraum Ende 11./12.Jh.
Die im Katalog (S. 68) geäußerte Ansicht, die vorliegende Handschrift
möglicherweise mit der Regelhandschrift der Melker Kanoniker zu identifizieren,
wurde jüngst von Felix Heinzer widerlegt, der den Codex überzeugend
mit dem Straßburger Münster in Verbindung gebracht hat
(Vgl. Rezension F. Heinzer).
Dieser Abschnitt hat die Beziehungen der Handschriften Melk,
Cod. 412, Vatikan, Cod. Vat. lat. 643, Zwettl, Cod. 296 und Klosterneuburg,
Cod. 685 zum Thema.
Den engsten Zusammenhang zur Melker Handschrift zeigt der im 12.Jh. entstandene
Codex Vat. lat. 643 (er überliefert auch die im Melker Manuskript im 11.Jh.
nachgetragene, und in der Zwischenzeit teilweise in Verlust geratene
Rezeptsammlung). Vat. lat. 643 diente um 1200
als Vorlage des Zwettler Codex 296, der wiederum ohne größeren zeitlichen Abstand
im Klosterneuburger Skriptorium (Cod. 685) abgeschrieben wurde. Die Codices sind - wie
an Hand der Inhaltsbeschreibung gezeigt wird - engstens miteinander verwandt.
Die Sternbilderkataloge der drei letztgenannten Handschriften zeigen untereinander
eindeutige ikonographische Abhängigekeiten; verwandte Darstellungen finden
sich vor allem in einer Handschriftengruppe aus Limoges vom Anfang des 9. Jh.
Das Kapitel beschäftigt sich vor allem mit der Händescheidung im 1123 vollendeten Grundstock der Annalenhandschrift 391. Entgegen der bisherigen Forschung werden drei Schreiber festgestellt. Die Haupthand ("Hand B") hat auch die Stiftungsurkunde (um 1113/1121)geschrieben und ist als Schreiber von Annalen und Nekrolognotizen bis in das vierte Jahrzehnt nachzuweisen. Sie war zweifellos eine der Hauptkräfte des Melker Skriptoriums; ihr Anteil an einem Melker Missale der Walters Art Gallery in Baltimore wird im Rahmen einer Monographie über die illuminierten romanischen Handschriften des Stiftes Melk genauer präzisiert werden.
Inhaltliche Charakteristika des um 1145/60 niedergeschriebenen Pontifikales Cod. 591 verweisen eindeutig nach Melk. Die Schreiber sind zum Teil in der Annalenhandschrift Cod. 391 nachzuweisen, die beiden Federzeichnungsinitialen (zu Textbeginn Halbfigur eines segnenden Bischofs) haben Parallelen in dem oben genannten Melker Missale in Baltimore.
Um das unvollständige Lektionar Cod. 1891 aus dem 3. Viertel des 12. Jh. lassen sich auf dem Wege des Schriftvergleichs sowie auf Grund kodikologischer Merkmale einige Graduale-, Sequentiar- und Sakramentar-Fragmente sowie ein fast vollständiges, eindeutig für Kremsmünster geschriebenes Kalendar gruppieren. Die Handschrift war bereits im 3. Viertel des 12. Jh. in Melk nachweislich in Gebrauch; in dieser Zeit sind auch enge personelle Beziehungen zwischen Melk und Kremsmünster nachzuweisen. - Siehe auch Addenda et Corrigenda, S.89 und S.90.
Der Schreiber des Lektionars in Cod. 820 ist in einer einzigen weiteren Handschrift (Cod. 830) sowie auf einer Vielzahl von liturgischen Fragmenten zu erkennen (z.B. Graduale-Fragment Cod. 829, I*). Seine charakteristische Schrift zeigen auch die Annalen des siebenten und achten Jahrzehnts des 12.Jh.; er war zweifellos eine der Hauptkräfte des Melker Skriptoriums im Zeitraum 1160/80.
Gleich dem "Lektionar-Schreiber" ist auch dieser Schreiber fast ausschließlich in Fragmenten liturgischer Handschriften (z.B. Sakramentar-Fragment Cod. 6, HD-Spiegel) faßbar. Er war gleichfalls an der Führung der Annalen beteiligt; seiner Hand dürfte mit hoher Wahrscheinlichkeit die Mehrzahl der Eintragungen zu den Jahren 1192-1203 zuzweisen sein (eine genauere paläographische Analyse ist in Arbeit).
An Hand einer Konkordanz der drei Melker Kalendarien des 12. Jh. werden die Charakteristika des Melker Festkalenders in diesem Zeitraum vorgestellt.
(Vgl. Rezension F. Heinzer).
Benediktinerstift Melk
z.Hdn. Frau Maria Prüller
Abt Berthold Dietmayrstraße 1
A-3390 Melk
Fax: +43-(0)2752/2312-52.
Preis der Publikation: ATS 190,- / DM 29,-
ISBN: 3-9500485-2-9