Beschreibung ausdrucken  Permalink: https://manuscripta.at/?ID=12454 
Wien, Österreichische Nationalbibliothek (ÖNB), Cod. 3641
MISSALE
Olim: Lunael. oct. 129    Pergament und Papier   VIII, 195 Bl.   145×105/110   Mondsee, 2. Viertel 15. Jh. (?) (vervollständigt um 1490)   
Provenienz/Letztbesitzer: Mondsee OSB
Handschrift aus 2 Teilen zusammengesetzt: 1  (60A-60K, 61-63) Mondsee (?), 2. Viertel 15. Jh.; 2  (1-60, 64-184) Mondsee, um 1490
Literatur zur Handschrift (Anzahl: 4)

(60A-60K, 61-63) Pergament. – Originale rote Foliierung (1-60, 61-184), zusätzlich die heutigen Bl. 60A-60K. – Lagen: (V-2)VIII + VI12 + (V+2)24 + 3.VI60 + (VI+2)63 + (VI+1)76 + 9.VI184. Gegenblätter zu I und II herausgeschnitten. Einzelblätter: 17, 20, 60D, 60E und 64. Kustoden und Reklamanten (häufig weg- oder beschnitten). – Wasserzeichen: verschiedene Waagen im Kreis mit Stern, darunter Typus Piccard, Waage, Abt. VI, Nr. 304-306 (1491/1492).

Teil 160A-60K, 61-63   Pergament   Mondsee (?), 2. Viertel 15. Jh. (?)
Lagen: (VI+2)63
Schrift: 3 verschiedene Schriften/Schreiber
Schrift 1(60Ar–60Cr, 60Fr–60Gr) Schriftart: Textualis
Hand 1 schreibt den Ordo missae und beginnt den Canon (aufgrund der feinen Zierstriche und gewisser Dekorformen der Zeilenschlussleisten – 60Gr – erscheint eine Entstehung noch im 14. Jahrhundert möglich).
Schrift 2(60Gv-60Jv) Schriftart: Textualis
Hand 2 beendet den Canon.
Schrift 3(60Cv, 60Jv-63r) Zeitnah ergänzt Hand 3 Praefationes, Comunicantes-Gebete und eine Totenmesse.
Ausstattung: Illuminiert   Rubriziert   Deckfarbeninitiale(n)   Ranke(n)/Bordüre(n)   Figürlicher Buchschmuck   
Rote Überschriften und Strichel. – Ein- bis vierzeilige rote, (60Ar) auch blaue Lombarden, die vermutlich im Rahmen der ersten oder zweiten Ergänzung (Schreiber 2 oder 3) eingesetzt wurden. – (60Gr, 60Gv) zwei unfigürliche Initialen, grün und fünfzeilig bzw. blau und vierzeilig. – (60Fr) historisierte Deckfarbeninitiale (Te-igitur-Initiale), 14-zeilig. Hellblauer Buchstabenkörper; rosa Initialfeld; dem Buchstaben aufgelegt dünnes, grünes, rankenartiges Astkreuz mit dem Corpus Christi. Die Initiale ist lediglich vorgezeichnet und flächig grundiert worden, Binnenzeichnung und Modellierung fehlen; beim Haar Christi die einzelnen Strähnen konturiert. Von der Initiale gehen an drei Seiten des Schriftspiegels Blattranken aus, diese ebenfalls nur grundiert. Die Rankenblätter dreiteilig und mit umgeknickter ("gestauchter") mittlerer Blattspitze oder aus mehreren ungefähr gleichlangen Blattzähnen zusammgesetzt; zusätzliche Paare eckiger Blattzähne. Ausführung in Pinselgold (?), Hellgrün und Altrosa.
Die stilistische Beurteilung der Te-igitur-Initiale wird durch deren unfertigen Zustand, das Fehlen jeglicher Binnengliederung etwa bei den Rankenblättern, erheblich erschwert. Eine Datierung der Initiale ins 14. Jahrhundert (Unterkircher 1957, Holter 1981, 201 [801], 204 [804]) ist jedoch mit Sicherheit auszuschließen. Zu überprüfen bleiben etwaige Stilparallelen zu Salzburger Werken, da sich in Mondseer Handschriften aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts nur wenige Buchmalereien erhalten haben und diese auch nicht mit Cod. 3641 vergleichbar sind (z. B. Wien, ÖNB, Cod. 5373). Das Rankenblattwerk (hier insbesondere die Blätter aus gleichlangen "Blattnadeln" und die "gestauchten" Blattmittelspitzen bei den dreiteiligen Blättern) scheint allerdings bereits gewisse Analogien zum Dekor einiger Mondseer Handschriften der 1450er Jahre aufzuweisen (z. B. Wien, ÖNB, Cod. 1996, Kalender mit Angaben ab 1458). Dem Stil dieser Gruppe würde auch das Interpretieren des Astkreuzes als Blattmittelrippe des Buchstabenkörpers entsprechen (vgl. Hranitzky–Schuller-Juckes–Rischpler 2018, 126). Eindeutig festzustellen ist die Verwandtschaft zwischen Cod. 3641 und der Mondseer Gruppe der 1450er Jahre jedoch nicht. (Siehe zur Handschrift auch MeSch VI, Einleitung Mondsee.)
Teil 21-60, 64-184   Papier   Mondsee, um 1490
Lagen: (V-2)VIII + VI12 + (V+2)24 + 3.VI60; (VI+1)76 + 9.VI184
Schrift: 2 verschiedene Schriften/Schreiber
Schrift 1(1r-60v, 65r-155v) Schriftart: Bastarda
Mehrere Hände, ungelenk, Nachahmung von Formen der Textualis
Schrift 2(VDS-VIIIv, 60Dr-60Er, 63r-64v, 155v-183v) Jüngste Nachträge
Ausstattung: Illuminiert   Rubriziert   Deckfarbeninitiale(n)   Ranke(n)/Bordüre(n)   
Rubrizierung, ein- bis fünfzeilige rote Lombarden. – (1r, 7r) zwei unfigürliche Deckfarbeninitialen zu Beginn des Officium de tempore und zur Weihnachtsmesse.
Die Ad-te-levavi-Initiale (1r) fünfzeilig auf viereckigem Initialfeld, dieses mit Filigranornament (Federranken) überzogen. Der geschwungene obere Balken des A, durch dessen Bogen gefädelt, links und rechts in je einer tropfenförmig nach innen gebogenen, längeren Halbpalmette endend. Das graphisch eingezeichnete, gedrehte Füllblattwerk mit gebogtem Rand, die einzelnen Blattabschnitte jeweils mit tropfenförmigem Mittelteil. Vom Buchstabenkörper ausgehend eine Blattranke, die auf dem unteren Seitenrand in einer Blüte mit langem Fruchtkolben ausläuft. Die Rankenblätter mit abgerundeten Blattlappen, die Blattstängel beim oberen, gedrehten Blatt quer gerippt. Außerdem zwei Paare eckiger Blattzähne sowie eine weitere Blüte oder Manschette (verwischt). Die Farbpalette besteht aus Hellgrün, Violett, Hellblau, Hellbraun und Hellgrau (Federranken). Die Weihnachtsinitiale (7r) mit achtzeiligem (mit Unterlänge des P zwölfzeiligem) dunkelblauen Buchstabenkörper; das Füllblattwerk wie 1r; hellgelbes Initialfeld; keine Ranken.
Wenig sorgfältig ausgeführt, weisen die beiden Initialen gewisse Stilparallelen zur "Mondseer Gruppe 2" des letzten Viertels des 15. Jahrhunderts auf (zu dieser siehe Hranitzky–Schuller-Juckes–Rischpler 2018, 127-131; Abb. 158-166, 169, 171; Fig. 73-76, 79, 81 f.): vgl. das grobe Filigran, die mit Halbpalmetten gefüllten, abgerundeten Buchstabenabläufe etc. Dieser Einordnung entspricht auch der Wasserzeichen-Befund: Die Ergänzungen (Officium de tempore et sanctis) können aufgrund der Wasserzeichen nicht wesentlich vor 1490 entstanden sein.

Einband: Mondsee     um 1490     Streicheisenlinien   Blindstempel        
Helles Leder über Holzdeckeln. Rahmenlinien und Diagonalen. Blindstempelblüte (nicht identifiziert). Auf dem HD (ehemals VD) Titelschild (15./16. Jahrhundert). Spuren einer Schließe. Beklebung des Rückens mit weißem Papier (Mondsee, 17. Jahrhundert).


Der unfertig gebliebene Grundstock aus dem 2. Viertel des 15. Jahrhunderts (?) wurde nachträglich, um 1490, zu einem vollständigen Missale erweitert.
Vorbesitzer: Mondsee, Benediktinerkloster St. Michael (748-1791)
Der jüngere Teil des Missales entstand mit Sicherheit in Mondsee, und der Codex gelangte auch aus Mondsee in die heutige ÖNB. Der Band ist jedoch in den älteren Katalogen des Stiftes nicht eindeutig nachzuweisen.
Martin Roland (Forschungsstand 2015, MeSch VI; Redaktion Katharina Hranitzky 2022, mit Ergänzungen)
"Piccard", "Unterkircher 1957", "Holter 1981", "Hranitzky–Schuller-Juckes–Rischpler 2018", "MeSch VI", "Klugseder 2012"
alle Initien
Missale Lunaelacense.
Teil 2/2
(VDS-IIv) Gebete (Messgebete, Gebet an den Schutzengel etc.), Addenda zum Commune sanctorum.
(IIIr-VIIIv) Detailliertes Inhaltsverzeichnis. U. a. werden die Heiligenoffizien, die im Abschnitt de tempore integriert sind, an ihrer korrekten Stelle im Jahreskreis verzeichnet; bei Festen ohne vollständiges Offizium Verweise auf das Commune sanctorum.
Teil 2/1
(1r-20v) Officium de tempore (bis Octava Epiphaniae).
(20v-34v) Officium de sanctis (Maurus bis Ambrosius).
(34v-60v) Officium de tempore (bis Corpus Christi).
Teil 1
(60Ar-60Cr) Ordo Missae.
Teil 2/1
(60Cv) Praefationes.
Teil 2/2
(60Dr-60Er) Praefationes.
(60Ev) Leer.
Teil 1
(60Fr-60Jv) Canon Missae.
(60Jv-63r) Communicantes-Gebete, Totenmesse.
Teil 2/2
(63r-64v) Orationes diversae.
Teil 2/1
(65r-120r) Officium de sanctis (Andreas bis Katharina).
(120r-143r) Marienmesse und Votivmessen.
(143r-155v) Commune sanctorum. 1. Teil.
Teil 2/2
(155v-174r) Commune sanctorum. 2. Teil.
(175r-182r) Marianische Alleluia-Texte und Sequenzen, Officium in commemoratione sancti Johanni baptiste, Orationes (zu den Sequenzen siehe Klugseder 2012, 277-293).
(182v-183v) Officia de sancto Erasmo, de sancta Apollonia et de sancta Kunegundis.
(184r-184v) Leer.